Die Geschichte der Städtefreundschaft Kufstein – Frauenfeld

 Der Krieg und seine Folgen

Am 12. März 1938 besetzten deutsche Truppen Österreich. Unter Umbenennung auf „Ostmark“ wurde Österreich dem nationalsozialistischen Deutschen Reich Adolf Hitlers angeschlossen. Während des Zweiten Weltkrieges (1. September 1939 bis 8. Mai 1945) erklärten die Alliierten in der „Moskauer Deklaration“ vom 1. November 1943 die Wiederherstellung der österreichischen Unabhängigkeit als eines ihrer Kriegsziele. Im April und Mai 1945 wurde Österreich von den Alliierten besetzt und danach in vier Besatzungszonen geteilt. Anfangs Mai nahmen amerikanische Panzerkräfte die Stadt Kufstein ein. Die Amerikaner stiessen dabei auf Widerstand. Durch Bombardements und Artilleriebeschuss wurde die Stadt zuvor schon in Mittleidenschaft gezogen. 68 Häuser mit 113 Haushalten wurden zerstört oder beschädigt. Die Amerikaner hielten Tirol bis anfnags Juli 1945 besetzt, dann übergaben sie das Gebiet einer französischen Armee, denn Tirol und Vorarlberg wurden zur französischen Zone erklärt. Das Kriegsgeschehen hatte im Tirol, wie im übrigen Österreich, ein ungeheures Ausmass an Zerstörung, Leid und Not hinter sich gelassen. Es fehlte an allem für das tägliche Leben. Insbesondere war auch die Ernährungslage prekär. 1945 und 1946 sank die Ration für eine Person und einen Tag auf 800 Kalorien; erst im Laufe des Jahres 1947 konnten 1’500 erreicht werden, während als vollausreichend 3’000 Kalorien galten.

Die Hilfsaktionen im Nachkriegsjahr 1946

Im Frühjahr 1946 erging an den Schweizerischen Städteverband ein Aufruf des Landesobmanns der Tiroler Bauernschaft, Patenschaften für Tiroler Städte zu übernehmen. Aufgrund eines diesbezüglichen Zirkularschreibens des Schweizerischen Städteverbandes an ihre Mitglieder entschied sich die damalige Frauenfelder Executive, am 23. Mai 1946, für die Übernahme der Patenschaft für die Stadt Kufstein. Am 5. Juni rief der Stadtrat die Einwohnerschaft von Frauenfeld auf, Liebesgaben für die Tiroler Stadt bereitzustellen. Am 22. Juni, einem regnerischen Samstagnachmittag, zogen die Kantonsschüler von Haus zu Haus und sammelten die Hilfsgüter. Die Sammlung ergab einen über Erwarteten guten Ertrag. Während vier Wochen wurden die Gebrauchsgegenstände und Lebensmittel fachgerecht in 248 Kisten verpackt. Für eine grosse Zahl von Hilfsgütern war eine Verpackung nicht möglich, so Bettstellen, Waschherde, Nähmaschinen, Kochherde, Öfen usw. in den Kisten wurden unter andrem 512 Kochpfannen, 2291 Töpfe, Platten und Teller, 2916 Messer, Gabeln und Löffel, 710 Trinkgläser, 618 Kaffeetassen und Beckeli, 132 Kartoffelraffeln, 51 Fleischhackmaschinen, 29 Küchenwaagen, 42 Kaffeemühlen, 71 Bügeleisen sowie Kleider, Wäsche und mehr als 200 Paar Schuhe untergebracht. Die Sammlung ergab auch über 1000 kg Lebensmittel. Geschenkt wurden unter anderem 467 Büchsen Kondensmilch und Milchpolver, 118 Büchsen Fleischkonserven, 105 Büchsen Gemüsekonserven, 54 Büchesen Ovomaltine und Einmalzin sowie beträchtliche Mengen Dörrgut und ebenso Getreideprodukte, mit denen man jedoch auf Schwierigkeiten stiess. Kurz vor der Sammlung konnte man nämlich der Tageszeitung entnehmen, dass die Ausfuhr von Getreide und Mahlprodukten gesperrt sei. Eine Sichtung des Sammelgutes förderte 245 kg Haferflocken und Gerstenflocken, 51 kg Kindermehl, 24 kg Zwieback und Knäckebrot, 159 kg Gerste, 55 kg Mais, 42 kg Hafergrütze, 15 kg Backmehl, 95 kg Teigwaren und 4 kg Getreideflocken zutage. Für diese Hilfsgüter musste eine Ausnahmebewilligung des Eidgenössischen Kriegsernährungsamtes eingeholt werden. Dieses Bundesamt erteilte die Bewilligung umgehend, allerdings mit der Ermahnung fortan die Ausfuhrsperre strikte zu beachten ! Der Wert der Sammlung wurde mit 13’120 Franken geschätzt, und zwar Lebensmittel 2’650 Franken, Haushaltungsartikel 7’870 Franken, Kleider und Wäsche 600 Franken, Schuhe 1’000 Franken. Geldspenden erreichten einen betrag von Fr. 4’386.90. Insgesamt bezifferte sich der Sammlungswert also auf Fr. 17’506.90. Als Gesamtgewicht dieser ersten Sendung nach Kufstein wurde bei den Ausfuhrformalitäten 12’011 kg angegeben. Am 8. August standen bei der Station Frauenfeld SBB vier österreichische Waggons zum Verald bereit. Sie rollten noch gleichen Tages an die Grenze. Die Ankunft des Sammelgutes in Kufstein wurde am 18. August durch den Bürgermeister telegraphisch bestätigt.
Vom 9. bis 11. August 1946 weilte einer Delegation von Frauenfeld in der Tiroler Stadt: Walter Tuchschmid, Präsident des Gemeinderates, Dr. Edwin Altwegg, Chefredaktor der Thurgauer Zeitung, Johann Wallertshausen, Stadtschreiber, Dr. Hermann Renner, Gemeinderat. Die Frauenfdler stellten in Kufstein „einen empfindlichen Mangel an Gebrauchsgegenständen“ fest (Stadtratsprotokoll vom 13. August 1946). Beispielseise konnte Milch micht verteilt werden, weil es an Milchtansen mangelte. Im Spital fehlten Kraftmittel für die Kinder und Medikamente aller Art. Den Frauenfeldern entgingen auch Details nicht: „Dringend benötigte Kufstein der Zusendung von Essig, damit die Salate besser geniessbar gemacht werden können“. Vom 24. bis 26. August 1946 hielt sich auf Einladung des Fussballclubs der Sportclub Kufstein in Frauenfeld auf. Das Fussballfreundschaftsspiel Kufstein – Frauenfeld endete unentschieden 3:3. Auch eine behördenvertretung aus der Tiroler Stadt war zugegen: Stadtrat Horey und die Gemeinderäte Dr. Erlacher und Dr. Kraner. Am 13. November brachte ein Lastwagen eine zweite Sendung nach Kufstein. Sie umfasste 20 Milchtansen, 180 kg Essigessenze (für die Salate !), 200 kg Birnenhonig, 70 Kartons Saccharin, vor allem aber Medikamente, Röntgenfilme, Catgut und Desinfektionsmittel für das Spital. Der Gegenwert betrug 5’376 Franken.

Die Hilfsaktion im Nachkriegsjahr 1946

Schon kurz nach Übernahme der Patenschaft ersuchte Frauenfeld das Rote Kreuz eine Kinderaktion durchzuführen. Kinder aus Kufstein sollten bei Familien in Frauenfeld einen Erholungsurlaub nehmen können. Die Frauenfdler Stadtregierung erhielt jedoch einen ablehnenden Bescheid. Die Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes gab zur Kenntnis, dass es nur noch Kindertransporte aus Wien und Niederösterreich durchführe, da dort die Notlage am grössten und die Hilfe deshalb am dringendsten sei. Auch einem zweiten Gesuch war kein Erfolg beschieden. Erst nach einer dritten Anfrage erklärte sich das Schweizerische Rote Kreuz bereit, eine Kinderaktion zu organisieren. Am 17. April 1947 traf eine kleine Schar von 50 bleichen, dürftig gekleideten Kufsteiner Kinder in Frauenfeld ein. Alle waren im Alter zwischen sieben und zehn Jahren. Drei Monate lang durften sie sich in Frauenfeld erholen. Die kleinen Gäste waren offenbar gut erzogen und bereiteten ihren Pflegeeltern viel Fraude. Selten klagte eines der Kinder über Heimweh. So jedenfalls lässt es sich aus dem „Kurzbericht“ entnehmen, den der Gemeindeweibel Nater verfasste, nachdem er bei den Pflegeeltern vorgesprochen hatte. Mit wenigen Ausnahmen war auch der Gesundheitszustand der Kinder im allgemeinen gut. „Appetit dürfte besser sein“, „Appetit gut, hat immer Durst“, so und ähnlich lauteten die entsprechenden Bemerkungen Naters im „Kurzbericht“.

Auch im Jahre 1947 wurde die Einwohnerschaft von Frauenfeld verschiedentlich ersucht für Kufstein zu spenden und hat dies auch in reichlichem Masse getan. Die Waren wurden jeweils mit Lastwagen nach der Vorarlbergischen Zollstation Schaawald verbracht und dort einer Delegation aus Kufstein übergeben, so dass die Hilfsgüter jeweils gleichen Tags am Bestimmungsort eintrafen. Die Empfangsbescheinigung in Begleitung eines herzlichen Dankes ging jeweils wenige Tage später ein. So erhielt Kufstein am 19. Mai eine Sendung von Medikamenten, Lebensmittel, Kleidern und Schuhen. Medikamente und Schuhe wurden als vierte Sendung an die Tiroler Stadt am 29. August am Grenzposten Schaanwald übergeben. Für die Insandstellung und den Ausbau „Zellerberg“ zu einem ALtersheim war es der Stadt Kufstein trotz aller Bemühungen nicht möglich die notwendigen Beschläge für Fenster und Türen aufzutreiben. Durch die Sonderaktion „DasBaugewerbe von Frauenfeld hilft Kufstein“ konnten diese Baumaterialien beschafft und am 25. Oktober an der Grenzstation Schaanwald überreicht werden. Die Weihnachtsaktion „Die Frauenfelder Schulkinder beschenken die Kufsteiner Kinder“ brachte ein über Erwarten gutes Ergebnis. 1842 Büchsen Kondensmilch, über 1000 kg Dörrobst sowie Konserven, Nüsse und verschiedene andere Liebesgaben konnten am 17. Dezember, also rechtzeitg zur Weihnachtsbescherung, übergeben werden.
Auf Pfingsten 1947 (24. bis 27. Mai) war der Fussballclub Frauenfeld zu einem Freundschaftstreffen nach Kufstein eingeladen. Eine Delegation des Frauenfelder Stadtrates reiste mit: Vizeammann Dr. Max Haffter, Stadtrat Beda Hutwiler, Stadtschreiber Johann Wallershauser. Die drei Frauenfelder erzählten später mit Begeisterung von der „Perle Tirols“ und vom herzlichen Empfang durch die dortige behörde. „Es war ein Empfang, wie er wohl einer Vertretung von Frauenfeld noch nie zuteil geworden ist“, schrieb der Stadtrat am 31. Mai 1947 an das Stadtamt Kufstein. Der Bürgermeister der Stadt Kufstein, Thomas Sappl, antwortete am 10. Juni 1949: „Die Stadtvertreter von Kufstein waren nicht in der Lage, Ihnen einen Empfang zu bereiten, wie er in friedlichen Zeiten bei uns üblich ist. Umsomehr freut es uns, dass wir Sie mit dem wenigen, was wir für Sie tun konnten, zufriedenstellten. Wenn Menschen wie Sie nur von dem Gedanken getragen sind, einem notleidenden, hungernden und der Verzweiflung nahestehenden Volke zu helfen, so ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die Stadtvertreter einer so schwer geprüften Stadt an solche Menschen die höchste Ehren vergeben, die sie zu vergeben haben. Mögen sich in Zukunft unsere gegenseitigen Beziehungen immer herzlicher und freundschaftlicher gestalten, so dass über die nationalen Grenzen hinweg das Volk Tirol und das Volk der Schweiz sich als eine Schicksalsgemeinschaft fühlen“.

Der Abschluss der Hilfsaktionen

Im Laufe des Jahres 1948 besserten sich langsam die Verhältnisse im Tirol. Doch wurden auch in diesem dritten Nachkriegsjahr noch Aktionen durchgeführt. So erhielt Kufstein im Juli 1948 von Frauenfeld eine weitere Liebesgabensendung, bestehend aus 5’400 kg Kartoffeln und 900 kg Dörrobst. Für die Kufsteiner Schulen besorgte die Stadt Frauenfeld schwarzen Lack zum Anstrich der Schulwandtafeln, da solcher im Tirol nicht aufzutreiben war. Auch die Kinderaktion wurde 1948 wiederholt. AM 17. Mai 1949 beschloss die im September 1947 konstruierte Spezialkommission „Patenschaft Kufstein“ die eigentliche Hilfstätigkeit zu beenden, da sich „die Lage im Tirol seit ungefähr einem Jahr ganz wesentlich gebessert hat“. Vom 17. bis 19. Juni 1949 weilte eine Delegation der Spezialkommission in Kufstein: Dr. Max Haffter, Kommissionspräsident, Walter Tuchschmid, Gemeinderat und Dr. Hermann Renner, Gemeinderat. Die Delegation aus Frauenfeld überreichte eine Geldspende von 1’500 Franken zur Unterstützung von armen, kriegsgeschädigten Familien und setzte dem Stadtrat auseinander, dass damit die Hilfsaktion als abgeschlossen betrachten werden könne. Allerdings wurde dem Krankenhaus Kufstein nocheine Medikamentenhilfe in Aussicht gestellt. Diese Arzeien erhielt das Spital als letzte Hilfeleistung Frauenfelds an „die Perle Tirols“ am 20. Januar 1950.
In den Jahren 1950 und 1951 waren die Musikvereine, die den Kontakt zwischen den beiden Städten aufrecht erhielten. Die Stadtmusik Frauenfeld besuchte Kufstein am 12./13. August 1950. Mit ihr reiste Stadtrat Beda Huwiler. Vom 22. bis 24. Juli 1951 weilte die Stadtkapelle Kufstein in Frauenfeld. Sie wurde begleitet von Vizebürgermeister Erwin Kulich und Stadtrat Prof. Dr. Hannes Messner.

1988 „Die Städtefreundschaft Kufstein-Frauenfeld“